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Aktien- und Anleiherenditen entkoppeln sich 2023 wieder


10.01.23 11:00
Candriam

Brüssel (www.anleihencheck.de) - Die Auswirkungen der Pandemie und des Krieges in der Ukraine schadeten sowohl der Aktien-, als auch der Anleiheperformance, so Nadège Dufossé, Leiterin Multi Asset bei Candriam.

Während Inflation und Wachstum auch 2023 die kurzfristigen Haupttreiber der Märkte bleiben würden, könnten sich Anleger auf lange Sicht wieder auf attraktive Renditen freuen, meine Nadège Dufossé, Global Head of Multi Asset bei Candriam.

Performance und Volatilität an den Finanzmärkten scheinen weniger durch das absolute Niveau von Inflation oder Wachstumsindikatoren getrieben zu sein als vielmehr durch die Erwartungen der Märkte - oder vielmehr die Lücke zwischen den Inflations- und Wachstumserwartungen einerseits und den Konjunkturdaten andererseits, so die Experten von Candriam. Diese seien im vergangenen Jahr sehr häufig auseinandergeklafft und hätten ein ungünstiges Umfeld für die Finanzmärkte geschaffen. Das würden die Indikatoren der Citigroup für Inflations- und Wachstumsüberraschungen für die wichtigsten Volkswirtschaften (G10) zeigen.

So habe das Wachstum im ersten Halbjahr 2022 zwar positiv überrascht, jedoch sei die Inflation unerwartet angestiegen. Das habe die Notenbanken zu einer beschleunigten Straffung der globalen Finanzierungsbedingungen gezwungen und die Zinserwartungen in die Höhe getrieben. Die Finanzmärkte hätten stark nachgegeben, und sowohl Anleihen als auch Aktien - insbesondere Wachstumswerte - seien abgestürzt. Im Sommer seien die Inflationserwartungen zurückgegangen und die negativen wirtschaftlichen Annahmen hätten Hoffnung gegeben, dass die geldpolitische Straffung abgeschwächt werde.

Diese Erwartung habe sich nicht bewahrheitet: Die Währungshüter in Jackson Hole seien "hawkisch" geblieben, der Optimismus in Bezug auf die Wirtschaftsperformance sei gewachsen und die Inflationserwartungen hätten sich stabilisiert. Das Umfeld sei für die Finanzmärkte erneut schlecht gewesen und Aktien hätten einen neuen Tiefpunkt erlebt. Seit Ende Oktober hätten sich die Inflationsüberraschungen wieder verringert, während die Wirtschaftsdaten etwas positiver ausgefallen seien als erwartet. Das habe die starke Erholung bei Anleihen und Aktien begünstigt.

Was würden die Experten für die nächsten Monate erwarten? Inflationsüberraschungen dürften seltener werden, was den Finanzmärkten zugutekomme. Die Quelle von Unsicherheiten dürfte nun das Wirtschaftswachstum werden. Dieses sei mit zurzeit positiven Prognosen nach wie vor widerstandsfähig. Für die USA würden die Experten mit einer anhaltenden Konjunktur rechnen, die eher erfreulich überrasche. Europa könnte dagegen insbesondere aufgrund seiner Abhängigkeit von Gasimporten anfälliger sein. In China werde ein höheres Wachstum als im vergangenen Jahr erwartet.

Inflations- und Wachstumsüberraschungen, die näher am Breakeven lägen, würden insgesamt ein günstiges Umfeld für Unternehmensanleihen und Aktien im Jahr 2023 darstellen. Denn sie würden weniger Unsicherheit und somit weniger Volatilität bedeuten. Uneinigkeiten bei den wirtschaftlichen Erwartungen könnten dagegen einen potenziellen neuen Tiefpunkt bedeuten und eine neue Kapitulation der Anleger provozieren. Mögliche Auslöser hierfür könnten sein:

- Eine Wiederholung des Jahres 2022: eine Häufung von Inflationsüberraschungen, die die Zentralbanken wieder zum Handeln veranlassen könnten
- Eine "harte Landung" mit einer stärkeren Rezession als jene, die heute von den Finanzmärkten eingepreist werde
- Ein finanzieller Unfall, der weite Teile der Märkte in den Abgrund mitreiße, mit einem ähnlichen Szenario wie 2008. Die Zentralbanken seien jedoch wachsam und würden versuchen, die Inflation zu begrenzen und gleichzeitig die Finanzstabilität zu gewährleisten.

In ihrem aktuellen Wirtschaftsszenario würden die Experten eine Verlangsamung der Inflation und des Wirtschaftswachstums, jedoch keine schwere Rezession sehen. Daher würden sie nicht davon ausgehen, dass es in der nahen Zukunft zu einem neuen Tiefpunkt komme. Die Aktienmärkte dürften sich in einer recht breiten Spanne bewegen, ohne dass es zu heftigen Ausschlägen komme: Einerseits dürften die Maßnahmen der Zentralbanken die Entwicklung der Aktienmärkte nach oben begrenzen, indem sie die finanziellen Bedingungen nicht zu schnell lockern würden, sollte sich die Wirtschaft gut halten. Andererseits würden sie die Märkte durch ein schnelles Umschwenken der Geldpolitik unterstützen, falls die Wirtschaft zu sehr in die Knie gehe.

Bei Anleihen würden die Experten den Carry Trade, der durch den Anstieg der Renditen im Jahr 2022 wieder aufgebaut worden sei, für attraktiv halten. Der Rückgang der Inflation dürfte zu einem Rückgang der Volatilität bei Anleihen führen, was wiederum eine Entspannung der Volatilität in anderen Anlageklassen ermögliche.

Die Finanzmärkte hätten im Oktober extreme Niveaus gezeigt: Einen außerordentlichen Pessimismus der Anleger in Bezug auf die Wirtschaft und die erwartete Entwicklung der Märkte sowie eine historisch hohe Volatilität bei allen Anlageklassen, wie man sie zuletzt während der Globalen Finanzkrise habe beobachten können. Ein solcher Pessimismus stelle im Allgemeinen ein starkes konträres Kaufsignal dar. Jedoch habe das Jahr mit einer Anomalie geendet: Es habe keine umfassenden Kapitalabflüsse aus Aktien gegeben. Dafür gebe es mehrere Gründe, insbesondere das Fehlen von Alternativen: Immerhin hätten die Experten schon eine Weile beobachtet, dass sich Aktien- und Anleihemärkte parallel entwickelt hätten.

Nun ändere sich die Situation allerdings wieder. Dies zeige ein Vergleich der erwarteten Renditen von Aktien und Staatsanleihen aus dem vergangenen Jahr mit dem Vorjahr (2021 und 2022). Der Einfachheit halber werde dabei die Anleiherendite mit der Endfälligkeitsrendite und die Aktienrendite mit der Gewinnrendite gleichgesetzt. Dabei zeige sich:

- Alle aktuellen Renditen seien aufgrund der steigenden Zinsen und der rückläufigen Aktienbewertung höher als die von Ende 2021.
- Die Aktien- und Anleiherenditen lägen sehr nah beieinander. In den USA würden Anleihen sogar eine bessere Rendite als Aktien liefern. Dort befinde sich zudem die Risikoprämie von Aktien auf dem niedrigsten Stand seit 15 Jahren.

Infolge dieser Entwicklung sei die erwartete Rendite eines diversifizierten Portfolios 2022 stark angestiegen und zu den Niveaus von 2018 und 2019 zurückgekehrt, selbst wenn man die Realrendite betrachte. Diese erwartete Rendite verteile sich wesentlich ausgewogener auf Aktien und Anleihen. Nachdem die beiden Anlageklassen ein Jahr lang positiv korrelierten und Anleger vor allem durch gemeinsame Abstürze verstimmten, dürfte sich diese Korrelation nun auflösen, so die Experten von Candriam. Dies bedeute, dass die Anleihen innerhalb eines diversifizierten Portfolios wieder die Rolle als Stoßdämpfer in Zeiten sinkender Aktienkurse spielen könnten oder zumindest keine zusätzliche negative Performance erzielen würden.

Die Rendite eines diversifizierten Portfolios habe in den letzten drei Jahren insgesamt bei null gelegen. Angesichts von Krieg und Inflation habe das die Sorge geweckt, dass dies anhalten und zu einem weiteren "verlorenen Jahrzehnt" führen dürfte. In der Geschichte seien die "verlorenen Jahrzehnte" während der ersten beiden Weltkriege, der Zeit der Stagflation der 1970er Jahre und dem Platzen der Blasen in den 2000er Jahren aufgetreten. Doch davon würden die Experten nicht ausgehen.

Wenn den Zentralbanken das gelinge, was sie sich im vergangenen Jahr vorgenommen hätten - nämlich die Inflation unter Kontrolle zu halten, ohne eine schwere Rezession auszulösen - würden die Experten für die kommenden Jahre insgesamt konstruktiv bleiben. Sehe man einmal von außergewöhnlichen Ereignissen ab, dürfte sich für Anleger in absehbarer Zeit wieder die Harmonie einstellen, die die Pandemie und der Kriegsausbruch unterbrochen hätten. (10.01.2023/alc/a/a)