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Anlagechancen durch spätzyklische Schocks und Überraschungen?


27.03.23 11:42
Janus Henderson Investors

London (www.anleihencheck.de) - Obwohl das erste Quartal noch nicht vorbei ist, erlebten die Anleger in diesem Jahr bereits drei sehr unterschiedliche Phasen an den Finanzmärkten, so Paul O’Connor, Head of Multi-Asset, Janus Henderson Investors.

Der Januar habe mit einer "Alles-Rally" begonnen, bei der alle wichtigen Anlageklassen zugelegt hätten, da die Investoren nun eher von einer "weichen Landung" ausgegangen seien. Im Februar habe sich dieser Trend weitgehend umgekehrt, da der Konsens in Bezug auf die Zinssätze in den Industrieländern auf eine "hawkishe" Haltung umgeschwenkt habe. Im März habe sich die Stimmung erneut geändert, weil die Sorgen um das Bankensystem in Europa und den USA in den Vordergrund gerückt seien.

Während Defensiv- und Risikoanlagen im Januar und Februar parallel gestiegen und gefallen seien, sei die Performance-Streuung an den globalen Märkten ein bemerkenswertes Merkmal der letzten Wochen gewesen. Bei Aktien hätten Finanzwerte in Europa, Japan und den USA im März bisher drastische Verluste erlitten, und auch Öl, Bergbau und einige andere eher zyklische Sektoren seien stark gefallen. Erstaunlich robust hätten sich dagegen defensive Werte und andere weniger zyklische Anlagen gezeigt. Da Staats-, Investment-Grade- und Schwellenländeranleihen sowie Gold bisher im März zugelegt hätten, hätten vorsichtiger positionierte Multi-Asset-Portfolios ihre Stärke unter Beweis stellen können - und das in einer Zeit, in der Bankaktien den Anlegern Sorgen bereitet hätten.

Der Zusammenbruch einiger Banken habe erhebliche Auswirkungen auf die Zinserwartungen gehabt. Die Anleger seien zu Recht davon ausgegangen, dass die Zentralbanken aufgrund der Anzeichen einer Anfälligkeit des Finanzsektors vorsichtiger bei künftigen Zinserhöhungen sein könnten. Am 13. März seien die Renditen zweijähriger US-Staatsanleihen stärker gefallen als am Schwarzen Montag 1987, am 11. September oder an jedem anderen Tag während der globalen Finanzkrise. Bis zum 15. März seien die Markterwartungen für die US-Zinssätze im vierten Quartal 2023 in nur einer Woche um 185 Basispunkte (1,85%) gefallen.

Diese Entwicklung habe sich, wenn auch weniger dramatisch, in anderen großen Industrieländern widergespiegelt. Derzeit gehe man davon aus, dass die Zentralbanken in der Eurozone, in Großbritannien und in den USA nur noch 25 bis 50 Basispunkte (0,25% bis 0,5%) von den jeweiligen Zinsspitzen entfernt seien, wobei die US-Notenbank die Zinssätze in der zweiten Jahreshälfte senken dürfte.

Angesichts der starken Bewegungen bei Finanztiteln, Zinssätzen und damit verbundenen Bereichen seien die Experten vorerst noch vorsichtig mit einer Extrapolation der jüngsten Kursentwicklung. Bei den Banken würden sie die entschlossenen Maßnahmen der politischen Entscheidungsträger beruhigen, die bei Bedarf Liquidität zur Verfügung stellen würden. Sie würden auch glauben, dass die spektakulären Bankenkrisen der letzten Tage eher auf schwache Geschäftsmodelle und fragwürdige Einzelentscheidungen zurückzuführen seien als auf systemische Probleme im Zusammenhang mit der Subprime-Krise in den USA und der darauffolgenden Finanzkrise in der Eurozone.

Die jüngsten Ereignisse bei amerikanischen und europäischen Banken als erstes Anzeichen einer schweren globalen Bankenkrise zu werten, wäre wohl ebenso verkehrt wie auch sie als einmalige Ereignisse im gesamten Finanzwesen abzutun. Die globalen Zinsschocks des vergangenen Jahres würden immer noch ihre Wirkung in der Weltwirtschaft entfalten und würden unweigerlich weiteren Schaden auf den Banken- und Kreditmärkten anrichten. Auch wenn die Experten das derzeitige Umfeld nicht als außergewöhnlich belastend für das Finanzsystem ansehen würden, so sei es doch ein Umfeld mit hohen zyklischen und idiosynkratischen Risiken. Da Finanzstress in der Regel unvorhersehbar sei, sollten sich Anleger in den kommenden Monaten auf weitere Schocks und Überraschungen gefasst machen.

Die Experten würden die generelle Einschätzung teilen, wie die Zinssätze in den letzten Tagen neu eingepreist worden seien. Die aufkommenden Stresssymptome im Bankensystem seien ein Wendepunkt für die Geldpolitik. Insgesamt dürfte sich die Kreditvergabe im Finanzsektor verschärfen und das Vertrauen und die Aktivität von Unternehmen und Verbrauchern beeinträchtigen. In einem derart fragilen Finanzumfeld würden die Experten erwarten, dass die Zentralbanken zunehmend neben der Preis- auch der Finanzstabilität Priorität einräumen würden. Dies spreche für eine baldige Zinspause und vielleicht sogar für einen Höhepunkt der Zinszyklen in Europa und den USA, wenn die Zentralbanken die Unsicherheiten aufgrund von schlechteren Kredit- und Liquiditätsbedingungen im Finanzsektor berücksichtigen würden.

Die Marktvolatilität dieser Woche habe agilen Marktteilnehmern zwar einige taktische Marktchancen eröffnet, die strategische Bedeutung der jüngsten Entwicklungen bleibe jedoch eher düster. Die Experten würden die jüngsten Spannungen im Finanzsystem als Bestätigung dafür interpretieren, dass man sich jetzt in einer typisch turbulenten spätzyklischen Marktphase befinde. In dieser Phase des Konjunkturzyklus würden die Zinserhöhungen zu wirken beginnen, was das Wachstum verlangsamt und unweigerlich zu Finanzturbulenzen führe. Dies sei in der Regel nicht der beste Zeitpunkt im Konjunkturzyklus, um finanzielle Risiken einzugehen. Vor diesem Hintergrund sollten Anleger die Herausforderungen und Chancen des Umgangs mit der spätzyklischen Marktvolatilität berücksichtigen.

Obwohl die Experten durchaus Argumente für defensive gegenüber risikofreudigen Anlagestrategien sehen würden, sollte man dennoch nicht zu pessimistisch werden. Im gesamten Multi-Asset-Bereich seien die Bewertungen jetzt auf einem Niveau, das Anlegern normalerweise mittelfristig respektable Renditen beschere (auch wenn die Wertentwicklung in der Vergangenheit kein Indikator für künftige Renditen sei).

Die Marktvolatilität dürfte Anlegern in den kommenden Monaten wahrscheinlich noch häufig zu schaffen machen, aber sie könne auch große Chancen bieten. Die bisherigen extremen Kursschwankungen bei einigen Vermögenswerten im Jahr 2023 hätten viele Möglichkeiten für taktische Manöver bei der Asset Allokation geboten. Darüber hinaus sei dies die Phase des Konjunkturzyklus, in der sich die Fundamentalanalyse wirklich auszahlen könne. Bei hohem idiosynkratischem Risiko könne es sich für Anleger lohnen, zwischen Gewinnern und Verlierern bei Aktien, Anleihen und alternativen Anlagen zu unterscheiden. (27.03.2023/alc/a/a)