Erweiterte Funktionen
Plädoyer für ein höheres Inflationsziel
02.03.23 16:00
Hamburg Commercial Bank
Hamburg (www.anleihencheck.de) - Das Leben ist voll von diesen Dingen, von denen man weder zu wenig noch zu viel haben möchte, so die Analysten der Hamburg Commercial Bank.
Kaffee sei ein klassisches Beispiel: Ohne eine Dosis Koffein könnten sich viele nicht vorstellen, morgens munter zu werden, aber wenn man zu viel davon trinke, führe das leicht zu einer unerwünschten Hyperaktivität. Wie viele Becher Kaffee genau richtig seien, lasse sich nicht so leicht sagen. So ähnlich sei es auch mit der Inflation. Sei sie zu niedrig, könne das in eine Schuldenspirale führen, sei sie zu hoch, führe dies zu unerwünschten Umverteilungen und Ineffizienzen. Wo aber genau die optimale Inflation liege, vermöge niemand zu sagen.
Dennoch hätten sich die drei großen Notenbanken, die FED, die EZB und die japanische BoJ und eine ganze Reihe weiterer Zentralbanken auf das Inflationsziel von 2% festgelegt. Das habe für die USA und die Eurozone auf den ersten Blick recht gut funktioniert, denn seit dem Bestehen der Währungsunion habe die jährliche Inflation im Durchschnitt bei 1,97% gelegen - Punktlandung. Für die USA liege der Wert für den gleichen Zeitraum bei 2,12%; auch nah dran am Ziel. Richtig schlecht schneide nur Japan ab, dort habe die durchschnittliche Inflation seit 1999 nur bei 0,20% gelegen. Aber wie das mit Durchschnitten so sei: Wenn der Jäger einen Hasen einmal rechts und dann links verfehle, dann habe er ihn im Durchschnitt getroffen. Und so sei das Inflationsziel in den Jahren nach der Finanzmarktkrise von 2008 in der Eurozone mehr als zehn Jahre deutlich unterschritten worden, während es seit über einem Jahr fast überall auf der Welt seit mehr als einem Jahr massiv überschritten werde, zuletzt auch in Japan.
Ganz offensichtlich seien hier strukturelle Faktoren am Werk. In den vergangenen Jahrzehnten sei dies eine disinflationär wirkende demografische Entwicklung gewesen. Die Disinflation sei nach der Finanzmarktkrise insbesondere in der Eurozone durch einen zähen Deleveraging-Prozess verstärkt worden, ohne dass die EZB in den ersten Jahren in der Lage gewesen wäre, diesen durch ihre ultraexpansive Geldpolitik umzukehren. Und nunmehr sind wir demografisch an einen Wendepunkt angelangt - dieser Wendepunkt bedeutet einen zunehmenden Arbeitskräftemangel und stärkt die Verhandlungsmacht der Arbeiternehmer:innen weltweit -, der durch die besonderen Entwicklungen im Zuge der Corona-Krise und des Ukraine-Kriegs die Inflation innerhalb kürzester Zeit in vielen Ländern hat zweistellig werden lassen, so die Analysten der Hamburg Commercial Bank. Da sich zu der inflationär wirkenden demografischen Entwicklung auch noch Kostentreiber wie Deglobalisierung und die Maßnahmen zum Klimaschutz gesellen würden, würden die Analysten dauerhaft mit einer Verfehlung des Inflationsziels von 2% rechnen.
Bemühe man wieder das Kaffeebild, könnte man sagen, dass die bisher optimalen zwei Becher Kaffee am Morgen, um in Schwung zu kommen, nunmehr auf drei Becher erhöht werden müssten, weil der Koffeingehalt des Kaffees zurückgegangen sei. Mit anderen Worten: Wenn die Inflation aufgrund von strukturellen Faktoren immer wieder danach dränge, eher in Richtung 3% oder 4% zu drängen, dann müsste die Notenbank sich laufend auf die Bremse stellen. Erfahrungsgemäß gelinge es nicht so häufig, dass eine Zentralbank das Wachstum wie einen Zug allmählich abbremse. Vielmehr sei die Gefahr groß, dass es zu einem Unfall, sprich: einer mehr oder weniger ausgeprägten Rezession, komme, wenn die Zinsen angehoben würden. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, ob es Sinn mache, wenn die EZB und die FED an dem Inflationsziel von 2% festhalten oder ob sie dieses nicht anheben sollten.
Viele Marktbeobachter würden dringend vor einem solchen Schritt warnen. Die Rede sei dabei von einer Entankerung der Inflationserwartungen, einem Verlust an Glaubwürdigkeit der Zentralbanken und der damit einhergehenden Gefahr, dass die Inflation endgültig außer Kontrolle gerate. Diese Risiken sollten nicht klein geredet werden. Vor allem in der Phase, in der sich die Finanzmärkte auf ein neues Inflationsziel einstellen müssten, könne es zu heftigen Turbulenzen kommen. Denn mit einer Anhebung des Inflationsziels um sagen die Analysten der Hamburg Commercial Bank einen Prozentpunkt würden vermutlich auch die Inflationserwartungen sprunghaft steigen, was dann wiederum zu einer Neubewertung der Bondmärkte führen würde. Für manche Banken könnte es ungemütlich werden, wenn die Bonds in ihrer Bilanz plötzlich deutlich weniger wert seien. Nominal würde es sprunghaft teurer werden, sich zu refinanzieren, was sowohl für Unternehmen als auch für Staaten gelten würde.
Ob kommunikatives Geschick von Seiten der Notenbanken - etwa indem man lediglich von einer Flexibilisierung des Inflationsziels spreche oder eine Zielbandbreite definiere - ruckartige Reaktionen bei den Investoren verhindern könne, sei nicht gewiss. Auf Dauer sollte sich ein derartiger Schritt aber auszahlen. Denn mit einem höheren Inflationsziel von beispielsweise 2,5 bis 3,5% müsste eine Notenbank eben nicht laufend gegenhalten und bremsend in den Konjunkturverlauf eingreifen. Natürlich könnten auch mit einer Neudefinition des Inflationsziels künftig keine Rezessionen verhindert werden. Wahrscheinlich würden diese aber weniger häufig auftreten, als wenn die Zentralbank ihre Geldpolitik stets zu stark straffe. Damit relativiere sich auch das Argument des Glaubwürdigkeitsverlustes, das Gegner einer Anhebung des Inflationsziels ins Feld führen würden. Denn eine Notenbank, die dauerhaft einen Wohlfahrtsverlust zu verantworten habe, dürfte eher politisch und gesellschaftlich unter Druck geraten als eine, die zum Wohl aller auf strukturelle Veränderungen reagiere und das Inflationsziel anpasse.
Bevor ein solcher Schritt gegangen werde, sollten natürlich sorgfältig die Argumente, die für einen strukturellen Anstieg der Inflation sprechen würden und beispielsweise in dem Buch "The Great Demografic Reversal" von Goodhart und Pradhan verarbeitet seien, analysiert werden. Genauso wie sie nicht leichtfertig auf drei Becher Kaffee umsteigen sollten, bevor sie nicht genaue Informationen über eine Veränderung des Koffeingehalts ihrer Kaffeesorte gesammelt hätten. (02.03.2023/alc/a/a)
Kaffee sei ein klassisches Beispiel: Ohne eine Dosis Koffein könnten sich viele nicht vorstellen, morgens munter zu werden, aber wenn man zu viel davon trinke, führe das leicht zu einer unerwünschten Hyperaktivität. Wie viele Becher Kaffee genau richtig seien, lasse sich nicht so leicht sagen. So ähnlich sei es auch mit der Inflation. Sei sie zu niedrig, könne das in eine Schuldenspirale führen, sei sie zu hoch, führe dies zu unerwünschten Umverteilungen und Ineffizienzen. Wo aber genau die optimale Inflation liege, vermöge niemand zu sagen.
Dennoch hätten sich die drei großen Notenbanken, die FED, die EZB und die japanische BoJ und eine ganze Reihe weiterer Zentralbanken auf das Inflationsziel von 2% festgelegt. Das habe für die USA und die Eurozone auf den ersten Blick recht gut funktioniert, denn seit dem Bestehen der Währungsunion habe die jährliche Inflation im Durchschnitt bei 1,97% gelegen - Punktlandung. Für die USA liege der Wert für den gleichen Zeitraum bei 2,12%; auch nah dran am Ziel. Richtig schlecht schneide nur Japan ab, dort habe die durchschnittliche Inflation seit 1999 nur bei 0,20% gelegen. Aber wie das mit Durchschnitten so sei: Wenn der Jäger einen Hasen einmal rechts und dann links verfehle, dann habe er ihn im Durchschnitt getroffen. Und so sei das Inflationsziel in den Jahren nach der Finanzmarktkrise von 2008 in der Eurozone mehr als zehn Jahre deutlich unterschritten worden, während es seit über einem Jahr fast überall auf der Welt seit mehr als einem Jahr massiv überschritten werde, zuletzt auch in Japan.
Bemühe man wieder das Kaffeebild, könnte man sagen, dass die bisher optimalen zwei Becher Kaffee am Morgen, um in Schwung zu kommen, nunmehr auf drei Becher erhöht werden müssten, weil der Koffeingehalt des Kaffees zurückgegangen sei. Mit anderen Worten: Wenn die Inflation aufgrund von strukturellen Faktoren immer wieder danach dränge, eher in Richtung 3% oder 4% zu drängen, dann müsste die Notenbank sich laufend auf die Bremse stellen. Erfahrungsgemäß gelinge es nicht so häufig, dass eine Zentralbank das Wachstum wie einen Zug allmählich abbremse. Vielmehr sei die Gefahr groß, dass es zu einem Unfall, sprich: einer mehr oder weniger ausgeprägten Rezession, komme, wenn die Zinsen angehoben würden. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, ob es Sinn mache, wenn die EZB und die FED an dem Inflationsziel von 2% festhalten oder ob sie dieses nicht anheben sollten.
Viele Marktbeobachter würden dringend vor einem solchen Schritt warnen. Die Rede sei dabei von einer Entankerung der Inflationserwartungen, einem Verlust an Glaubwürdigkeit der Zentralbanken und der damit einhergehenden Gefahr, dass die Inflation endgültig außer Kontrolle gerate. Diese Risiken sollten nicht klein geredet werden. Vor allem in der Phase, in der sich die Finanzmärkte auf ein neues Inflationsziel einstellen müssten, könne es zu heftigen Turbulenzen kommen. Denn mit einer Anhebung des Inflationsziels um sagen die Analysten der Hamburg Commercial Bank einen Prozentpunkt würden vermutlich auch die Inflationserwartungen sprunghaft steigen, was dann wiederum zu einer Neubewertung der Bondmärkte führen würde. Für manche Banken könnte es ungemütlich werden, wenn die Bonds in ihrer Bilanz plötzlich deutlich weniger wert seien. Nominal würde es sprunghaft teurer werden, sich zu refinanzieren, was sowohl für Unternehmen als auch für Staaten gelten würde.
Ob kommunikatives Geschick von Seiten der Notenbanken - etwa indem man lediglich von einer Flexibilisierung des Inflationsziels spreche oder eine Zielbandbreite definiere - ruckartige Reaktionen bei den Investoren verhindern könne, sei nicht gewiss. Auf Dauer sollte sich ein derartiger Schritt aber auszahlen. Denn mit einem höheren Inflationsziel von beispielsweise 2,5 bis 3,5% müsste eine Notenbank eben nicht laufend gegenhalten und bremsend in den Konjunkturverlauf eingreifen. Natürlich könnten auch mit einer Neudefinition des Inflationsziels künftig keine Rezessionen verhindert werden. Wahrscheinlich würden diese aber weniger häufig auftreten, als wenn die Zentralbank ihre Geldpolitik stets zu stark straffe. Damit relativiere sich auch das Argument des Glaubwürdigkeitsverlustes, das Gegner einer Anhebung des Inflationsziels ins Feld führen würden. Denn eine Notenbank, die dauerhaft einen Wohlfahrtsverlust zu verantworten habe, dürfte eher politisch und gesellschaftlich unter Druck geraten als eine, die zum Wohl aller auf strukturelle Veränderungen reagiere und das Inflationsziel anpasse.
Bevor ein solcher Schritt gegangen werde, sollten natürlich sorgfältig die Argumente, die für einen strukturellen Anstieg der Inflation sprechen würden und beispielsweise in dem Buch "The Great Demografic Reversal" von Goodhart und Pradhan verarbeitet seien, analysiert werden. Genauso wie sie nicht leichtfertig auf drei Becher Kaffee umsteigen sollten, bevor sie nicht genaue Informationen über eine Veränderung des Koffeingehalts ihrer Kaffeesorte gesammelt hätten. (02.03.2023/alc/a/a)
Aktuelle Kursinformationen mehr >
Kurs | Vortag | Veränderung | Datum/Zeit | |
6,10 % | 7,20 % | -1,10 % | -15,28% | 30.05./22:00 |
ISIN | WKN | Jahreshoch | Jahrestief | |
8,80 % | 6,10 % |
07.06.23
, LOYS
Das Inflationsbiest