Schwellenländeranleihen: Ein Silberstreif am Horizont des globalen Abschwungs?


17.01.23 09:15
Janus Henderson Investors

London (www.anleihencheck.de) - Die Zukunft der Schwellenländer hängt 2023 weitgehend von der der Inflationsentwicklung, der Straffungspolitik der FED und dem Ausmaß des globalen Konjunkturrückgangs ab, so das Emerging-Markets-Debt-Hard-Currency-Team von Janus Henderson Investors.

Die Risikobereitschaft sei ein entscheidender Faktor für die Kapitalströme und damit für die Performance der Schwellenländeranleihen in Hartwährung. Die Risikobereitschaft spiele eine wichtige Rolle für die Investoren und werde weitgehend vom globalen Umfeld bestimmt. Als die Verbraucherpreisindizes in den USA im Oktober ihren Höhepunkt zu erreichen schienen, sei es zu einer breiten Rallye bei Risikoanlagen gekommen, da der Optimismus für eine lang erwartete Wende wiederaufgelebt habe - vielleicht sogar zu sehr. Wie der JHI Risk Aversion Index (RAI) zeige - die globale Risikovermeidung habe sich halbiert - sei die Stimmung bei den übermäßig pessimistischen Märkten gedreht. Deshalb hätten EMD HC die stärksten monatlichen Renditen seit den 1990er Jahren verzeichnet.

Die Überschreitung des Höchststandes der US-Inflation sei für die Märkte von großer Bedeutung gewesen. Sie habe ein mögliches Ende des Zinserhöhungszyklus in den USA signalisiert (nach Ansicht der Experten Mitte dieses Jahrs). Wenn die FED den Zinserhöhungszyklus unterbreche, würden die Renditen der US-Treasuries in der Regel ihren Höchststand erreichen, folglich sei dieser mit einem geringeren Risiko für einen starken Dollar 2023 verbunden. Seine Stärke habe die Performance der Schwellenländer beeinträchtigt, da deren Schulden in Dollar denominiert seien.

Der Grund: Ein stärkerer Dollar sei in erster Linie mit einer Ausweitung der EMD-HC-Spreads einhergegangen. 2023 könnte sich daher ein günstigeres Umfeld für die Anlageklasse ergeben, denn die Risikobereitschafft nehme tendenziell zu, sobald die Zinserhöhungen[2] vorbei seien und die Unsicherheit nachlasse. Das Zusammenspiel von Inflation und Wirtschaftswachstum werde entscheidend dafür sein, wie die Anleger die Schwellenländer - und damit auch die Bewertungen - beurteilen würden und ob es der FED gelinge, die erhoffte "weiche" Landung zu orchestrieren.

Während sich die Gewitterwolken für die globale Konjunkturabschwächung im Jahr 2023 auftürmen würden, würden die Anleger wahrscheinlich überlegen, wo sie Zuflucht suchen sollten. Den IWF/WEO-Projektionen zufolge werde sich das Wachstumsgefälle zwischen den Schwellenländern und den USA 2023 und 2024 vergrößern, weil die Schwellenländer von der allgemeinen globalen Konjunkturabschwächung relativ verschont bleiben würden. Für das Wachstum der Schwellenländer seien strukturelle Faktoren - wie Technologie und Demografie - im Vergleich zu den Industrieländern vorteilhafter. Letztere hätten zudem die schwierige Rückführung einer jahrelangen sehr lockeren Geld- und Fiskalpolitik zu bewältigen.

Im Unterschied dazu hätten die Schwellenländer nicht die gleiche Kaufkraft gehabt und seien außerdem in ihren Straffungszyklen voraus. Dies deute darauf hin, dass sie über geldpolitische Puffer verfügen würden, auf die sie in einer sich verlangsamenden Weltwirtschaft zurückgreifen könnten. Die steigende Zinsdifferenz zwischen den Schwellenländern und den USA könnte ein positiver Faktor für engere EMD-Spreads sein, da sie die Schwellenländer aus fundamentaler Sicht relativ attraktiv mache.

Das reale BIP der USA und der Schwellenländer habe in den letzten Jahrzehnten eine negative Korrelation aufgewiesen. Diese Abkopplung der Schwellenländer von den USA könnte für Anleger, die ihre Portfolios würden diversifizieren wollen, eine Chance bieten. Der Binnenhandel in den Schwellenländern habe sich verstärkt, und das Wachstum Chinas sei maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt. China könnte als Stabilisator für die Schwellenländer dienen: weitere Lockerungen der Corona-Beschränkungen und eine verstärkte Stabilisierung des angeschlagenen Immobiliensektors häufen.

Die Experten würden davon ausgehen, dass das chinesische BIP im nächsten Jahr um 4 bis 5% wachsen werde, begünstigt durch geringe Basiseffekte. Laut der Oktoberprognose von J.P. Morgan erhöhe sich unter Einbeziehung Chinas die Differenz zwischen dem BIP-Wachstum der Schwellen- und der Industrieländer 2023 gegenüber dem Vorjahr von 1% auf 2,1%. Es bestehe jedoch das Risiko, dass sich die Konjunktur - insbesondere in den USA und Europa - stärker abschwäche als erwartet. Die Märkte würden eine "weiche" Landung der Weltwirtschaft anstreben, wobei eine tiefere Rezession (oder eine "harte" wirtschaftliche Landung) ein Risiko für die EMD-HC-Spreads darstelle.

Deshalb könnten die Schwellenländer die globale geldpolitische Lockerung vorantreiben, wenn die Inflation nachlasse, und sich so als erste stabilisieren oder in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 einen Rebound erleben würden. Dies werde sich positiv auf die Kreditfundamentaldaten auswirken, wobei die Wachstumsverlangsamung nach Ansicht der Experten nicht unbedingt zu einer Beeinträchtigung der Kreditqualität führe. Die relative Wachstumsdynamik in den Schwellenländern verbessere sich und damit komme es in der Regel auch zu Kapitalzuflüssen.

Mit dem Abfluss von weniger zielgerichtetem EM-Kapital habe sich ein klareres Bild von Angebot und Nachfrage ergeben. Es werde damit gerechnet, dass die Anleiheemission wieder zunehme, sobald sich die Märkte erholen würden. Für 2023 werde jedoch eine deutlich negativere Nettoemission von Staatsanleihen (Bruttoangebot abzüglich Cashflows) als 2022 erwartet. Dies deute auf eine angespanntere Angebots- und Nachfragesituation hin, die sich positiv auf die Spreads auswirken könnte.

Letztendlich zähle für die Anleger die Ausgangsbasis. Die Anlageklasse EMD HC werde zu attraktiven Spread-Niveaus gehandelt, wobei allerdings mehr Granularität erforderlich sei, um die zugrundeliegende Bandbreite vollständig zu erfassen. Notleidende Emittenten würden mit stark diskontierten Bewertungen gehandelt, sodass Verluste bereits im Jahr 2022 eingebucht worden seien - selbst wenn der Umstrukturierungsprozess dieser Emittenten das ganze Jahr 2023 andauere. Dies schaffe einen Puffer für weitere negative Informationen, wenn die globale Konjunkturabschwächung zum Tragen komme.

Nicht notleidende Hochzinsländer seien jedoch ein interessantes Segment, das man im Auge behalten sollte. Aufgrund eines sich verbessernden globalen Marktumfelds dürften einige besser positionierte Volkswirtschaften - wie die Mongolei, Kenia, Angola, die Elfenbeinküste, Senegal, Benin und Jordanien - wieder Zugang zu den Märkten erhalten, um Schulden aufzunehmen, was das Investitionsrisiko verringern würde. Einige dieser afrikanischen Länder, wie Mosambik, Angola und Senegal, würden außerdem davon profitieren, dass Europa anstrebe, die Energieversorgung - unabhängig von Russland - breiter zu diversifizieren.

Unterbrochene Lieferketten hätten auch das Nearshoring oder Friendshoring gefördert. Die Spannungen zwischen den USA und China würden zu einer Produktionsverlagerung außerhalb Chinas führen. Dies eröffne den Schwellenländern mehr Chancen, mache den Anlegern aber auch deutlich, wie wichtig eine Diversifizierung des Handelsexposures in den Portfolios sei. Die Chancen in den Schwellenländern seien trotz der aufziehenden Gewitterwolken groß. Da die Renditen wieder gestiegen seien, biete der Carry ein gewisses Polster und dürfte für 2023 attraktive Gesamtrenditeaussichten bieten. (17.01.2023/alc/a/a)