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EZB-Sitzung: Klarheit ist anders


17.03.23 09:36
Candriam

Brüssel (www.anleihencheck.de) - Manche geldpolitischen Sitzungen sind wichtiger als andere, so Nicolas Forest, Global Head of Fixed Income bei Candriam.

Von der Gesundheitskrise über den Krieg in Europa bis hin zur explodierenden Inflation und der Sorge um die Banken - Christine Lagarde habe seit ihrer Ernennung im Jahr 2019 zahlreiche Herausforderungen bewältigen müssen. Am Donnerstag habe die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) gleich an zwei Fronten überzeugen müssen: Preisstabilität auf der einen und Finanzstabilität auf der anderen Seite.

Man dürfe nicht vergessen: Das vorrangige Mandat der EZB bestehe darin, die Inflation nahe 2% zu halten. Angesichts der Inflationsrate von über 8% habe sich die EZB jedoch verpflichtet, ihre Leitzinsen mehrere Wochen lang um 0,50% anzuheben. Mit der Revision ihrer Inflationserwartungen auf 2,9% für 2024 und 2,1% für 2025 betonten die Ökonomen der Zentralbank: Trotz des Rückgangs überwiege weiterhin das Risiko eines Preisschubs. In diesem Sinne habe Christine Lagarde den Einlagensatz auf 3% angehoben, den höchsten Stand seit 2008, als die Zinserhöhungen der EZB als kontraproduktiv angesehen worden seien. Dass eine Zinserhöhung um 50 Prozentpunkte vorab angekündigt worden sei, könnte die Entscheidung zum Teil erklären. Dies habe sich als riskant erwiesen. Trotz der anhaltend hohen Inflationserwartungen habe der EZB-Rat auf einem Ansatz beharrt, der stärker auf Wirtschaftsdaten basiere. Das mache künftige Zinserhöhungen unsicherer.

Die Finanzstabilität sei der zweite Schwerpunkt des Tages gewesen, da sie ebenfalls zu einer Kernaufgabe der EZB geworden sei. Ab 2022 werde die Zentralbank die größte Liquiditätsreduzierung im Bankensystem seit ihrer Gründung vornehmen. Mit dem Entzug von 1 Billion Euro aus dem Mechanismus der zielgerichteten längerfristigen Refinanzierungsmaßnahmen (TLTRO) und dem Beginn der Reduzierung der Anleihekäufe habe die EZB heute auch ihre Liquiditätspolitik klarstellen müssen. So habe Christine Lagarde bestätigt, dass die EZB bereit sei, alle notwendige Unterstützung zu leisten, um das europäische Finanzsystem zu stützen. Sie habe zudem bekräftigt, dieses sei widerstandsfähig und robust. Dies seien zwar gute Absichten, doch würden sie keine konkreten Lösungen für die bestehenden Probleme bieten.

Als Aufsichtsbehörde für die europäischen Banken habe die EZB zu beruhigen versucht. Ohne konkrete Maßnahmen sei es jedoch ungewiss, ob dies ausreichen werde. Ob die EZB sich für die Bekämpfung der Inflation oder die Erhaltung der Finanzstabilität entschieden habe, sei nicht eindeutig gewesen. Aber wie Machiavelli gesagt habe: "In der Politik besteht die Wahl selten zwischen Gut und Böse, sondern zwischen dem schlimmsten und dem geringsten Übel." (17.03.2023/alc/a/a)