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Europas Divergenz nutzen


22.02.23 11:59
Janus Henderson Investors

London (www.anleihencheck.de) - Während andere Zentralbanken einen baldigen Höchststand der Zinssätze signalisieren, hat die Europäische Zentralbank (EZB) ein "längerfristig höheres" Zinsumfeld angedeutet - verständlich, wenn man bedenkt, dass sie ihren Zinserhöhungszyklus erst später begonnen hat, so Tim Winstone, Portfoliomanager bei Janus Henderson Investors.

Im Gegensatz zu den Zentralbanken Großbritanniens und der USA sei die EZB auch bei dem Umfang der Zinserhöhungen eher vorsichtig gewesen, was ihre akkommodierende Haltung und ihr Interesse an der Aufrechterhaltung der finanziellen Integrität (in der EZB-Sprache: Vermeidung einer "Fragmentierung" der Märkte) in der Eurozone sowie an der Marktstabilität widerspiegele. Die niedrigeren Energiepreise würden die Gesamtinflation beeinflussen, die sich in der Eurozone im Januar stärker abgeschwächt habe als erwartet. Dies bedeute, dass in Europa im Vergleich zu anderen großen Industrieländern wie den USA ein niedrigerer Endsatz - der von den Zentralbanken letztendlich festgelegte Zinssatz - eingepreist werde. Dies sei auch auf das geringere strukturelle Wachstumspotenzial in Europa im Vergleich zu anderen Ländern zurückzuführen. Eine weniger überhitzte Wirtschaft abzukühlen, ist eben doch einfacher, so Winstone.

Die Eurozone sei bisher von einer Rezession verschont geblieben, und habe im vierten Quartal 2022 ein leicht positives Wirtschaftswachstum verzeichnet. Dank der unerwartet milden Witterung seien die Gasvorräte nicht so stark dezimiert worden wie befürchtet, und die fiskalische Unterstützung habe die Auswirkungen der hohen Energiepreise gedämpft, die nun etwas gesunken seien. Trotzdem und trotz des im Vergleich zu den USA günstigeren Umfelds für Zahlungsausfälle in Europa würden die Spreads in Europa ein höheres Rezessionsrisiko einpreisen. Mit anderen Worten: Sie würden im Vergleich zu anderen Kreditmärkten eine höhere Kompensation für Rezessionsrisiken bieten.

Die Spreads für Euro-Investment-Grade-Anleihen (IG) hätten sich zwar von ihren Höchstständen im Jahr 2022 erholt, seien aber im Vergleich zu den 3-, 5- und 10-Jahres-Durchschnittswerten immer noch sehr hoch. Winstone gehe davon aus, dass es in diesem Jahr zu einer gewissen Volatilität der Spreads kommen könnte, wenn beispielsweise Wirtschaftsdaten das Marktgeschehen in Frage stellen würden - wie etwa der US-Arbeitsmarktbericht vom Januar. Eine solche Ausweitung könnte den Anlegern bessere Einstiegspunkte für Kreditrisiken bieten.

Mit der Neubewertung der Zinssätze hätten sich die Renditen der Euro-IGs deutlich verbessert und seien so hoch wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Im Sommer 2021 hätten knapp über 40% des Euro-IG-Marktes eine negative Rendite aufgewiesen, wobei etwa 6% des Universums mehr als 1% geboten hätten. Der heutige Markt sei vollkommen anders: Das gesamte Universum weise eine Rendite von mehr als 1% auf, und die niedrigste Rendite der rund 3.500 Emissionen liege bei 2,3% (im Vergleich zu -0,58% im Sommer 2021). Das anhaltende Niedrigzinsumfeld könnte bedeuten, dass die Anleger den Vorteil eines Carry-Puffers aus den Augen verloren hätten. In Anbetracht der zu erwartenden weiteren Volatilität biete ein solches Renditepolster einen hilfreichen Schutz gegen weitere Spread-Volatilität.

Die Primärmärkte seien 2023 bisher sehr aktiv gewesen, und das Angebot sei auf eine starke Nachfrage getroffen. Im Januar seien Euro-IG-Anleihen im Wert von 108 Mrd. EUR emittiert worden - ein Wert, der fast das Rekordniveau des gleichen Monats 2009 (110 Mrd. EUR) erreiche. Auch die Emissionswelle von Staatsanleihen im Januar sei problemlos aufgenommen worden. Mit der quantitativen Straffung - bzw. dem Bilanzabbau - sei jedoch noch mehr zu erwarten, sodass im Jahr 2023 mit einem Volumen von 88 Mrd. EUR gerechnet werde.

Der Rückzug der Zentralbank als Käufer wirke sich auch auf die Kreditvergabe aus, da die Reinvestition fällig werdender Wertpapiere im Rahmen des Programms der EZB zum Ankauf von Unternehmensanleihen (CSPP) - dem Ankauf vorrangiger Kredite für Nicht-Finanzunternehmen - im März 2023 beginnen werde. Dies habe Bedenken hinsichtlich eines nicht mehr verdaubaren Angebots geschürt, allerdings seien diese Programme rechtzeitig kommuniziert worden und die Nachfrage sei hoch gewesen. Eine weitere Sorge im Hinblick auf potenziellen Gegenwind bei der Nachfrage betreffe die Rekalibrierung der Programme für gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO). Das Programm habe die Kreditvergabe der Banken gefördert, indem es ihnen Zugang zu günstigen Finanzierungen geboten habe und es ihnen ermöglicht habe, Kredite zu einem Zinssatz von nur -1% aufzunehmen. Die Experten von Janus Henderson Investors jedoch der Meinung, dass die Banken diese Schulden über die Emission von vorrangigen und gedeckten Anleihen refinanzieren können und höchstwahrscheinlich auch werden.

Die Emissionen vorrangiger Banktitel hätten einen Rekordstart in das Jahr 2023 gehabt, und das Auslaufen des TLRO-Abschlags könnte zu weiteren Emissionen führen. Derartige Volumina könnten sich auf die Preise auswirken, allerdings könnte es sich dabei um eine Vorverlagerung handeln, sodass das Angebot im weiteren Jahresverlauf zurückgehen könnte. Hier würden auch die Bewertung und die Kompensation ins Spiel kommen. Man habe eine Verengung der Spreads nach der Emission beobachtet, und die Zugeständnisse bei Neuemissionen - bei denen ein Kreditgeber für die Übernahme einer Primäremission entschädigt werde - hätten zugenommen, seien aber nicht massiv. Dies lasse darauf schließen, dass die Unternehmen für die Kapitalbeschaffung nicht wesentlich mehr bezahlen müssten, was eine gesunde Nachfrage widerspiegele. Die Experten von Janus Henderson Investors gehen davon aus, dass dies auch weiterhin der Fall sein wird, da die Anleger bei einem Abschwung qualitativ hochwertige Anleihen bevorzugen.

Vorrangige Bankenwerte seien aus Bewertungsperspektive äußerst attraktiv, wie ein Vergleich von Nicht-Finanzwerten mit Finanzwerten und Banken mit anderen zyklischen Werten wie Industriewerten zeige. Das Verhältnis zwischen den Spreads von Banken und Industriewerten sei extrem hoch: etwa so hoch wie während des Brexit-bedingten Abverkaufs im Juli 2016 (1,28x) und des COVID-Abverkaufs (1,25x) im März 2020. Die Kursschwäche der Banken stehe nicht im Zusammenhang mit fundamentalen Aspekten, sondern spiegele eher die Angebotsdynamik, die Einschätzung der Banken als makroökonomischer Indikator, die schwache Eigenkapital- und Liquiditätssituation der Banken wider - Bankpapiere würden sich beim Abbau von Portfoliorisiken leichter abstoßen lassen. Die Experten von Janus Henderson Investors glauben jedoch, dass die Banken grundsätzlich gut positioniert sind, selbst wenn wir in Europa in eine Rezession geraten.

Die Banken seien optimal auf Zinserhöhungen eingestellt, und ihre Bilanzen in Europa seien seit früheren Krisen erheblich gestärkt und verbessert worden. Die europäischen Banken scheinen also gut kapitalisiert und mit Rückstellungen ausgestattet zu sein - was auf umfangreiche Liquiditätspuffer hindeutet - und sind besser reguliert, so Experten von Janus Henderson Investors. Obwohl sie immer noch zyklisch seien, bedeute dies nach Ansicht der Experten, dass sie einer Rezession besser standhalten könnten als bisher. Ein Großteil des Nicht-Finanzmarktes sei ihrer Ansicht nach zu wenig gehandelt worden. Daher sähen die Experten in den Banken eine große Chance, insbesondere angesichts des abnehmenden Rezessionsrisikos in Europa und des potenziellen Wachstums durch die Wiedereröffnung Chinas - mit Europa als einem der wichtigsten Exporteure nach China.

2023 könnte es zu einer noch größeren Bandbreite kommen, da die Prämie für EZB-fähige Schuldverschreibungen (vorrangige Anleihen außerhalb des Finanzsektors) mit dem Rückzug der EZB verschwindet. Die Experten seien jedoch der Ansicht, dass dies nicht zu einer drastischen Neubewertung von nicht-finanziellen Schuldtiteln führen werde, da Anleger zu wenig in Anleihen investiert seien und nicht aktiv Risiken verkaufen, sondern eher zu einer allmählichen Ausweitung von überhöhten Bewertungen.

Ein weiterer Grund für die Dispersion könnte die Gewinnschwäche sein, die sich über alle Sektoren und Unternehmen erstrecke. Bisher habe es nur vereinzelte Gewinnwarnungen gegeben, aber die Experten würden erwarten, dass sich diese häufen würden. Da es sich bei vielen IG-Unternehmen um große, globale Unternehmen handle, seien sie möglicherweise besser positioniert, um die Krise in Europa zu überstehen und von den weltweit unterschiedlichen Zyklen zu profitieren, da die Volkswirtschaften ihre Wachstumszyklen zu unterschiedlichen Zeiten beenden.

Viele der potenziellen Schwierigkeiten, mit denen Europa und damit auch der Kreditmarkt konfrontiert seien, seien bekannte Risiken, wie z.B. das große Angebot an IG-Anleihen. Die Energiekrise sei ebenfalls eine bekannte Größe. Sie müsste sich wesentlich schlechter entwickeln als erwartet, um die Risikomärkte zu beeinträchtigen. Ebenso sei dieser globale Abschwung wohl die am meisten erwartete Rezession aller Zeiten, aber der Konsens erwarte auch die mildeste Rezession der Geschichte.

Dennoch würden die wirtschaftlichen Entwicklungen ungewiss bleiben. Ob die schwer fassbare - aber sehnsüchtig erwartete - weiche Landung eintrete, sei fraglich. Die Experten seien der Meinung, dass ein umsichtigerer Ansatz darin bestehen würde, von der großen Bandbreite der Emittenten zu profitieren, sich aber auch auf eine sorgfältige Wertpapierauswahl zu konzentrieren, um idiosynkratische Entwicklungen zu attraktiven Bewertungen zu nutzen. Auch wenn das Beenden der quantitativen Lockerung ein kollektives Vorrecht der Zentralbanken gewesen sei, bedeute die Konzentration auf die Finanzstabilität in der Eurozone, dass das Transmissionsschutzinstrument (TPI) für die EZB eine Ausweichmöglichkeit bleibe. Europa könnte sich auch in diesem Fall von anderen Volkswirtschaften unterscheiden. Daher sei es wichtig, auf Anzeichen eines Kurswechsels der Zentralbanken zu achten. (22.02.2023/alc/a/a)