Das Jahr 2022 im Anleihehandel: Vom Ende der Nullzinsära


02.01.23 09:39
Deutsche Börse AG

Frankfurt (www.anleihencheck.de) - Der vermeintlich sichere Hafen Bundesanleihen war in diesem Jahr alles andere als sicher: Der starke Zinsanstieg hat für kräftige Verluste am Anleihenmarkt gesorgt, so die Deutsche Börse AG.

Um satte 22 Prozent sei der Euro-Bund-Future, wichtiger Indikator für langfristige Bundesanleihen, seit Jahresanfang gefallen. Damit sei dessen Bilanz noch schlechter als die des DAX, der auf ein Minus von knapp 13 Prozent komme.

Beides sei so nicht erwartet worden: "Die Prognosen für 2022 waren völlig falsch", bemerke Rentenhändler Arthur Brunner von der ICF Bank. "Niemand hatte mit einem derartigen Zinsanstieg gerechnet." Auch die Geschwindigkeit habe überrascht, wie Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank feststelle: "Über 2,5 Prozentpunkte bei der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen innerhalb nur eines Jahres, das ist schon enorm." Tim Oechsner von der Steubing AG weise auch auf die veränderten Korrelationen hin: "Früher kauften Anleger Bundesanleihen als Hedge gegen schwache Aktienmärkte, das funktioniert heute nicht mehr."

Von minus 0,18 Prozent auf in der Spitze 2,53 Prozent sei die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen im Laufe des Jahres gestiegen, am letzten Handelstag 2022 seien es 2,46 Prozent. Damit sei die immerhin fast drei Jahre dauernde Ära ohne Zinsen zu Ende gegangen. Noch stärker sei der Anstieg der Rendite von zweijährigen Bundesanleihen ausgefallen: Diese sei im Laufe des Jahres von minus 0,64 Prozent auf 2,65 Prozent geklettert. Auch zum Jahresausklang liege sie somit über der von zehnjährigen Papieren ("inverse Zinskurve") - was ungewöhnlich sei und als Vorbote einer Rezession gelte.

Auch in den USA seien die Renditen 2022 stark gestiegen, von 1,51 Prozent auf in der Spitze 4,34 Prozent, jetzt seien es immer noch 3,85 Prozent. Wegen der Inflation hätten die Notenbanken weltweit die Leitzinsen kräftig angehoben. In der Eurozone liege der Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft nun bei 2,5 Prozent, in den USA die Federal Funds Rate-Zinsspanne bei 4,25 bis 4,5 Prozent.

Oechsner beschreibe das Jahr 2022 als Hin und Her zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite hätten "schlechte" Nachrichten - also konjunkturskeptische Töne der Notenbanken, schwache wirtschaftliche Daten und eine nachlassende Inflation - Anleger*innen regelmäßig auf eine weniger strenge Geldpolitik hoffen lassen. "Euro-Bund-Future und DAX sind dann gestiegen." Auf der anderen Seite hätten "gute" Nachrichten - konjunkturoptimistische Töne der Notenbanken, starke wirtschaftliche Daten oder eine steigende Inflation - regelmäßig eine noch straffere Geldpolitik befürchten lassen. "Euro-Bund-Future und DAX sind dann gefallen."

Von den Händlern auf dem Parkett komme auch einiges an Kritik an den Notenbanken. "Sie haben die Inflation zu lange kleingeredet", meine Brunner. "Jetzt müssen sie ein hohes Tempo einlegen, um das wieder gutzumachen." Auch Daniel sehe die lange expansive Geldpolitik negativ, nun müssten sich die Notenbanker die Kritik schon gefallen lassen. Einen Vorteil sehe er aber: "Die Zeit der Marktmanipulation durch die Europäische Zentralbank ist erst einmal vorbei."

Nach Einschätzung von Brunner hätten die Kursverluste vor allem professionelle Investoren getroffen. "Welche Privatanleger haben sich auf dem Null- und Niedrigzinsniveau schon Anleihen ins Portfolio gelegt?", frage er. Dafür komme, wer nun neu einsteigen wolle, in den Genuss höherer Zinsen. "Privatanleger haben jetzt wieder Alternativen zu Aktien, selbst in Form von Bundesanleihen."

Im Rentenhandel an der Frankfurter Börse habe sich das bemerkbar gemacht: "Wir sehen wegen der attraktiveren Zinsen wieder mehr Interesse von Privatanlegern", berichte Rainer Petz von Oddo Seydler. "Den Umsätzen hat das gut getan." Wie Brunner ergänze, liege der Schwerpunkt auf Laufzeiten von zwei bis fünf Jahren. "Außerdem sind vor allem Investment Grade-Anleihen gefragt." Gut an seien in den vergangenen Monaten zum Beispiel Bonds von großen Unternehmen wie Deutsche Telekom oder VW (ISIN XS1893631330 / WKN A2LQ6B; ISIN XS2152061904 / WKN A2LQ6L), Fresenius Medical Care (ISIN XS2530444624 / WKN A30VPB) und BMW, aber auch - immer wieder - Papiere von Grenke gekommen.

Leittragende seien Mittelstandsanleihen gewesen, die zeitweise kaum Käufer*innen gefunden hätten. "Insgesamt haben sich Mittelstandsanleihen aber gut gehalten", erkläre Brunner, der in seinem Zuständigkeitsbereich keinen Ausfall zu verschmerzen habe. Einige Anleihen hätten sich auch sehr stabil gezeigt und würden über Pari oder knapp darunter gehandelt: Etwa die noch relativ neue Anleihe (ISIN DE000A30V3F1 / WKN A30V3F) von Katjesgreenfood mit 8 Prozent bis 2027 sowie Papiere von Karlsberg Brauerei mit 4,25 Prozent bis 2025 (ISIN DE000A254UR5 / WKN A254UR), Semper idem Underberg mit 5,5 Prozent bis 2028 (ISIN DE000A30VMF2 / WKN A30VMF) und PNE 5 Prozent bis 2027 (ISIN DE000A30VJW3 / WKN A30VJW).

Kräftig an Wert hätten gleich zu Anfang des Ukraine-Krieges Ekosem-Agrar-Anleihen (ISIN DE000A2YNR08 / WKN A2YNR0; ISIN DE000A1R0RZ5 / WKN A1R0RZ) verloren, Hintergrund seien die Sanktionen gegen Russland gewesen. Im Mai hätten Gläubiger einer umfassenden Restrukturierung inklusive reduzierten Verzinsung und Verlängerung zugestimmt. Für eine böse Überraschung habe die Metalcorp Group gesorgt. Das Rohstoffunternehmen habe Anfang Oktober völlig unerwartet eingeräumt, die am 2. Oktober fällige Anleihe nicht zurückzahlen zu können. "Da wurde viel Vertrauen zerstört", habe Petz damals kommentiert. Die anderen Metalcorp-Anleihen (ISIN DE000A3KRAP3 / WKN A3KRAP) hätten ebenfalls deutlich verloren. Zu einer Umstrukturierung und Laufzeitverlängerung sei es auch im Fall des kriselnden Autozulieferers Paragon gekommen.

Der 2013 aufgelegte Deutsche Mittelstandsanleihen Fonds komme seit Jahresanfang auf ein Minus von 15 Prozent. Dem Emittenten zufolge hätten Anleger seit Auflage aber eine jährliche Ausschüttungs-Rendite von über 4 Prozent bezogen auf den jeweiligen Anteilspreis zu Jahresbeginn erhalten.

Klar zugesetzt habe das Jahr zudem Immobilienanleihen. Vor allem Adler sei nicht aus den Schlagzeilen gekommen, Papiere von Adler Group und Adler Real Estate hätten deutlich verloren. Wie es weitergehe, sei immer noch unklar. Ebenfalls Kursverluste habe es bei DIC Asset, ERWE Immobilien (ISIN DE000A255D05 / WKN A255D0), Accentro Real Estate (ISIN DE000A254YS5 / WKN A254YS) und vor allem Corestate gegeben; im letzteren Fall sei es zu einer Restrukturierung gekommen. "Vorboten der Immobilienkorrektur waren vergangenes Jahr schon in China sichtbar mit den Turbulenzen um die Evergrande Group, Fantasia und Country Garden", bemerke Daniel. (Ausgabe vom 30.12.2022) (02.01.2023/alc/a/a)





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